05
Februar
2020
|
10:11
Europe/Amsterdam

Expertenprofil: Sexualisierte Gewalt durch Geschwister

„Es herrscht eine große Dunkelziffer – viele Fachkräfte sind überfordert“

Dortmund, 05. Februar 2020 - Noch immer ist sexualisierte Gewalt durch eigene Geschwister im Kindes- und Jugendalter ein absolutes Tabu in Gesellschaft und Öffentlichkeit – dabei handelt es sich keinesfalls um Einzelfälle, so Expertin Prof. Dr. Esther Klees, Professorin für Soziale Arbeit an der IUBH Internationalen Hochschule und eine der wenigen deutschen Forscherinnen zum Thema sexualisierte Gewalt durch Geschwister. Weil die Fälle oftmals auch von Fachkräften bagatellisiert werden und weil sowohl Opfer als auch Täter ohne rechtzeitige Behandlung langfristige Folgeschäden davontragen, fordert Klees dringend, das Thema stärker in die Ausbildungen und Studiengänge sozialer Berufe aufzunehmen. Ihre Thesen lauten:


These 1: Sexualisierte Gewalt durch Geschwister ist eine der am häufigsten auftretenden Formen sexualisierter Gewalt

Beim Thema sexueller Missbrauch von Kindern denken die meisten an fremde Männer als Täter – dabei wird sexuelle Gewalt am häufigsten im sozialen Nahraum ausgeübt, und dort häufig in der eigenen Familie durch Geschwister. Zum Ausmaß gibt es keine verlässlichen Forschungsergebnisse, aber wir wissen, dass etwa 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die in spezialisierten Einrichtungen für sexualisiert übergriffige Kinder und Jugendliche untergebracht sind, sexuelle Gewalt an Geschwistern ausgeübt haben.

Hinzu kommt, dass sexualisierte Gewalt durch Geschwister in vielen Fällen nicht nur einmal passiert, sondern oft über mehrere Jahre ausgeübt wird.


These 2: Sexualisierte Gewalt durch Geschwister ist eine der am stärksten tabuisierten Formen sexualisierter Gewalt

Wird das eigene Kind von einer fremden Person missbraucht, machen die Eltern den Übergriff öffentlich. Bei innerfamiliären Übergriffen hat daran keiner ein Interesse – Scham, Loyalitätskonflikte, aber auch das Schweigen der Betroffenen spielen eine große Rolle: Das betroffene Kind hat es besonders schwer, den Missbrauch zu erkennen, weil es die übergriffigen Handlungen von geschwisterlicher Liebe unterscheiden muss. Das betroffene Kind hat zugleich auch oft eine positive Beziehung zum übergriffigen Geschwister, die eine Offenlegung der Übergriffe erschwert.

Auch auf fachlicher Seite wird das Thema oft bagatellisiert. Egal ob ErzieherInnen in Kindertageseinrichtungen, LehrerInnen in Schulen, SozialpädagogInnen in der Jugendhilfe (in Wohngruppen oder beim Jugendamt): Häufig verfügen die Fachkräfte über keinerlei Fachwissen zu den Erscheinungsformen und Dynamiken bei sexualisierter Gewalt durch Geschwister und sprechen v.a. aus Unkenntnis von „Spielereien“ und „Doktorspielen“ statt von sexualisierter Gewalt.

Hinzu kommt, dass sexuelle Handlungen von Kindern unter 14 Jahren straflos sind und daher strafrechtlich nicht verfolgt werden. Behörden erlangen allgemein nur selten Kenntnis von solchen Fällen.

 

Gern stellen wir den Kontakt zu unseren Experten her.

Über Prof. Dr. Esther Klees

Esther Klees ist als Professorin für Soziale Arbeit an der IU tätig. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Kinder- und Jugendhilfe (Kinderschutz) und Wissenschaft Soziale Arbeit. Klees arbeitete viele Jahre als Diplom-Sozialpädagogin in den Erziehungshilfen, vorwiegend mit verhaltensauffälligen Jungen und durch Gewalt traumatisierten Kindern/Jugendlichen, bevor sie die Geschäftsführung der „Deutschen Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung und -vernachlässigung e.V.“ übernahm. Im Bereich des Kinderschutzes hat sie sich seit mehr als fünfzehn Jahren auf das Thema „Sexualisierte Gewalt durch Geschwister“ spezialisiert.