20
Oktober
2020
|
10:23
Europe/Amsterdam

Prof. Dr. Julia Pitters: Psychologie in Zeiten der Krise

Wie sich die Corona-Pandemie auf die menschliche Psyche auswirkt


Kein Begriff bekam in diesem Jahr wohl mehr Aufmerksamkeit als „Corona“ bzw. Covid-19. Mit der Ankunft des Virus begann auch die Panik. Die Folgen: Lockdown und sämtliche Einschränkungen der gewohnten Lebensrituale. Prof. Dr. Pitters, Wirtschaftspsychologin der IU Internationalen Hochschule, untersucht in ihrer neusten Arbeit, wie wir diese Bedrohung erleben - Was folgte auf Schock und Angst? Woran werden wir uns in Zukunft wohl erinnern und was aus der Krise lernen? 

Erfurt, 20. Oktober 2020 - In ihrem neuen Buch „Psychologie in Zeiten der Krise“ thematisiert Pitters das komplexe Zusammenspiel zwischen Staat, Organisationen und Menschen. Dabei nimmt sie Bezug auf das vollständige Ökosystem, auf seiner Mikro-, Meso- und Makroebene. Sie identifiziert drei Phasen der Krise, welche sich von Beginn der Pandemie bis hin zu möglichen Zukunftsaussichten erstrecken.

 

Thema 1: Beginn der Krise – Angst

 

Der unsichtbare „Feind“ wurde anfangs eher belächelt und ein Pandemiegedanke erschien unvorstellbar. Jedoch rückte dieser immer näher und versetzte schlussendlich die gesamte Welt in einen lähmenden Angstzustand.

Angst zählt hierbei zu einer der stärksten Emotionen und verleiht der Menschheit oft ein Gefühl von Kontrollverlust. Dieses Gefühl wurde zusätzlich durch erschreckende Bilder aus umliegenden Ländern, wie beispielsweise Norditalien, fehlender Erkenntnisse des Krankheitsbildes sowie durch nicht eindeutige und stetig wechselnde Kommunikation von Maßnahmen seitens der Regierung gesteigert. Die zusätzlich intensive, jedoch unsichere Medienpräsenz des Virus verunsichert die Bevölkerung zusätzlich. Damit einhergehend baut sich der Reflex einer Schutz- sowie Verteidigungsreaktion auf, welche oft zu impulsiven Handlungen führen.

 

Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman unterscheidet zwei Systeme der Entscheidungsfindung. Nach System 1 werden Informationen zur Entscheidungsfindung schnell und intuitiv getroffen, wohingegen System 2 einen höheren kognitiven Aufwand beinhaltet, um verschieden Handlungsalternativen vorab abzuwägen. Durch das erhöhte Stressniveau innerhalb der Pandemie wurde durch Aktionen wie Hamsterkäufe und vermehrte Bargeldabhebungen deutlich, dass die Bevölkerung zum Eigenschutz nach System 1 handelte, welches rückblickend oft irrational schien.

 

Thema 2: Leben in Zeiten der Krise – Sehnsucht nach Normalität

 

Der Mensch ist nicht nur ein Sozialwesen, sondern gleichzeitig ein Gewohnheitstier – dies wurde innerhalb der Krise verstärkt deutlich. Die unbekannte Notlage ließ die Bevölkerung überwältigende Solidarität aufweisen, anfangs zumindest. Schließlich fällt es Menschen größtenteils schwer, traditionell-soziale Verhaltensweisen zu unterdrücken und auf physische Nähe zu verzichten. Die Einschränkungen der individuellen Lebensbedürfnisse, der Arbeits- und Bildungswelt, sowie schwerwiegende Entscheidungsmaßnahmen des Staates, betreffen die gesamte Bevölkerung und stellen unterschiedliche Herausforderungen dar. Im Allgemeinen ist allerdings eine aufkommende Unsicherheit, durch das Aufbrechen der gewohnten Strukturen, zu erkennen. Die daraus oft oberflächlich erscheinende Unfreundlichkeit und gar Vereinsamung erhöht laut Angaben des Roten Kreuzes 25% von psychischen Erkrankungen sowie des Sterberisikos.

 

Thema 3: Zukunftsaussichten – Herausforderungen und Erschöpfung

 

Die Blockade der Unsicherheit und Distanz zu seinen Mitmenschen wurden anfangs durch gewagte „Corona-Witze“ und Humor psychologisch verarbeitet, um innerhalb der Stresssituation einen Grad an Leichtigkeit zurückzuerlangen. Viele Bürger versuchten ebenfalls durch Bewältigungsstrategien und neue Hobbys „das Beste“ aus der ausweglosen Lage zu kreieren. Doch mit wachsenden Versuchen und vielerlei Bemühungen, steigt ebenfalls die Anstrengung – die Erschöpfung folgt. Daraufhin auch bald der Widerstand und der Wille, seine verlorene Freiheit wiederherzustellen. Der zusätzlich langersehnte Impfstoff lässt weiterhin auf sich warten und trübt obendrein die Stimmung. Zudem scheinen die nachziehenden wirtschaftlichen sowie gesellschaftspolitischen Herausforderungen weiterhin anzuhalten oder sich gar zu verschlimmern. Die anfängliche Disziplin schwindet und die Bevölkerung sucht nach einem gemeinsamen Sündenbock (Verschwörungstheorien). Aus psychologischer Sicht ist die Verfolgung eines gemeinsamen Zieles für die Menschheit seit jeher von Bedeutung zu Wiederherstellung des Friedens, weshalb solch archaisch-rituelle Verhaltensmuster stetig wiederholt werden. Schließlich bewerten Menschen ihre Ausgangslage emotional und nach Aktualität und vergessen überaus schnell vergangene Informationen mit in Betracht zu ziehen.

 

Zu Prof. Dr. Julia Pitters:

Julia Pitters leitet als Professorin an der IUBH internationalen Hochschule den Studiengang Wirtschaftspsychologie und ist Partnerin beim Beratungsunternehmen Pitters℗ TRENDEXPERT und. Zuvor war sie als Beraterin für das Silicon Valley Fintech AltX tätig. Sie studierte Psychologie und Soziologie an den Universitäten Würzburg und Hamburg und promovierte an der Universität Wien zum Thema Steuerpsychologie. Als Assistenzprofessorin hat sie sechs Jahre an der Webster University das Fach Wirtschaftspsychologie vertreten und in zahlreichen internationalen Zeitschriften publiziert. Sie ist allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige.